Café eigenleben: draußen hocken ein paar Gäste und räkeln sich behaglich. Drinnen ist es still und dämmerig. Die Silhouette einer Frau bahnt sich den Weg durch den Raum, die schwarzen Haare zu einem dicken Knoten hochgesteckt. Ganz in Schwarz mit einer bunten Bordüre schreitet sie wie eine asiatische Reiterin zum Tisch im Nebenraum, setzt sich hin. Jede Bewegung leicht und konzentriert. Es ist die Künstlerin Yan Cheng.
Das weiche ernste Gesicht schaut prüfend auf die rundherum ausgelegten Fotos – ist jetzt alles da, wo es sein soll? scheint sie sich zu fragen.
Ich nehme Platz Yan Cheng gegenüber, nehme die Fotos aus den Augenwinkeln wahr, das Video, das stumm auf dem Monitor läuft, Yans Präsenz, ihren höflichen Kommentar: »Schön, dass Sie gekommen sind. Ich dachte schon, es kommt niemand.«
Plötzlich lacht sie. »Wir sagen du, ja? Wie heißt du? Was machst du?« Es ist nicht eine dieser Party-Fragen – es klingt echt und wissen wollend. Ich muss ihr meinen Namen erklären. Sie findet ihn lustig und gut in seiner Bedeutung. Chinesen mögen kurze Namen.
Die Verbindung von Mensch und Stadt
Wir reden den ganzen Abend fast nicht über ihre Kunst. Ich weiß nur, dass ich diese Person sehr mag und möchte, dass sie mindestens so berühmt wird wie Ai Weiwei. Sie kann es.
Auf dem Video bewegen sich Tänzerinnen in Schwarz unter flatternden Stoff-Fahnen. Es geht um die poetische Verbindung von Mensch und Stadt und zu anderen Menschen. Um die symbolische Hoffnung und Heilung von Körper und Seele nach dem langen Schmerz und der Einsamkeit durch die Pandemie.
Auf manchen Bildern ziehen Frauen, in bunte Tücher gehüllt, über Plätze und lehnen sich an Säulen. Die Farben und die Bewegung bringen Energie und Freude in die Stadt und bewegen die Zuschauenden.
Hallo! Freudige Begrüßung, Anouar und eine Frau setzen sich zu uns. »Erzähl, wer bist Du und was machst Du?« Anouar duftet nach 1000 und einem marokkanischen Garten, trägt einen von diesen mehr als slim geschnittenen todschicken Anzügen und dazu knallblauen Nagellack. Er ist Architekt, momentan Zimmermann in Ausbildung, Mitbegründer und »Hausmeister« der Gruppe »Die Städter« und macht und kann alles. Vor allem charming.
Yans Kunst ist magisch
Je länger man den Tänzerinnen über und unter den bunten Stoffbahnen zuschaut, desto mehr zieht es einen in den Bann. Magisch, mystisch. Es saugt einen auf und macht frei und froh. Yans Kunst basiert auf Philosophie und Zen, das spürt man auch. Sie hat etwas Heilendes, Lichtes.
Yan möchte uns Fotos zeigen von der »Alten Heide«, es schaut aus wie in einem japanischen Zen-Garten und ist doch nur die »Alte Heide«.
Sie redet über die Verbindung von Tod und Krieg und Zen, gibt aber bald auf, wir sind zu unkonzentriert. Was für einen Blick hat diese Frau!
Und sie ist nicht nur Künstlerin, sie kann auch handwerkeln. Nachdem es im Café keine Bilderschienen gab, hat sie kurzerhand welche montiert.
Auf der Suche nach Sophie
Auf einmal ist der lange Tisch voller Gäste. Jeder bekommt von Yan seinen Auftritt und alle Anwesenden schauen nur auf die neue Person. Gerade kamen eine Tänzerin aus dem Video, eine Behördenfrau, die Yan hilfreich zur Seite steht, Sigrid, mit der sie ihr Atelier teilt, Lukas, der Fotograf der Videos und Bilder in Begleitung und traratrara, Gerhard aus dem Lehel, immer auf der Suche nach Sophie, seiner Traumfrau, einer Tänzerin aus den Videos. Von diesem Drama erzählt er ohne Pause. Eigentlich war er Professor für Kunst im Mittelalter, dann hat ihm das Thema gereicht, und kaum langte er in der Neuzeit an, begann sein Unglück im Glück. Sophie. Er fand diese Frau, ließ sie von einem berühmten Maler x-mal nackt zeichnen – und verlor sie an ihn. O mei …
Wir gucken ihn alle etwas überlegen an, obwohl uns das doch genauso passieren könnte …
Gerhard lädt uns alle sofort für hinterher zu sich nach Hause ein, zu den Bildern. Echt nett, wer lädt schon noch einfach so zwölf fremde Leute zu sich ein ? Nur noch die Menschen im Süden, wo wir uns gern einladen lassen, aber nie zurück einladen.
Malerei braucht Ruhe
Yan hat Sorgen wegen eines Arbeitstermins mit verschiedenen KünstlerInnen (»Nie können alle!«) und wegen Ausstellungsräumen. Wo kann man seine Arbeiten zeigen?
Ich denke mir, ihre Eltern sind sicher noch in Shenzen, so weit weg, sie können ihr bestimmt nicht helfen. Yan lebt seit zehn Jahren hier. Mein jüngerer Sohn lebt seit zehn Jahren in Shanghai. Jeder chinesische Mensch ist so etwas wie eine Nabelschnur zu ihm.
Eigentlich sei die Malerei ihr Favorit, aber ihr Atelier im Kreativ-Quartier sei so laut von der Straße her. Für Malerei muss man ganz in sich ruhen, ganz tief, sonst kann man nicht malen. Sigrid, ihre Mitmieterin, liebt das Atelier.
Alle wollen noch weiter ziehen. Wir tauschen unsere Visitenkarten aus und sagen, dass wir etwas zusammen machen wollen. Irgendwas. Wir umarmen uns. Ich wünsche allen und Yan, dass sie weltberühmt werden.
Es war eine seltsam ungeplante und doch wie geplante Ausstellungseröffnung. Ein bisschen, wie wenn man einen französischen Film kurz betritt, mitspielt und nach einer Weile wieder verlässt.
Die Ausstellung ist noch bis Mitte Juni im Cafe eigenleben täglich ab 11 Uhr von Dienstag bis Samstag zu sehen.
Gehen Sie hin, es lohnt sich in jedem Fall!